Tübinger Debattenstil

.

David Hertle at Unsplash

Die Offene Parlamentarische Debatte versteht sich als turniertaugliches akademisches Debattierformat, dass die Sportlichkeit der Parlamentarischen Debatte und den Realismus der Publikumsdebatte miteinander vereint. Sie gibt Raum zur Entwicklung und Verbesserung wohlverstandener Rhetorik unter den Bedingungen produktiver Agonalität. Anders als bei wissenschaftlichen Diskussionen wird dabei nicht der Anspruch erhoben, Wahrheit zu finden; vielmehr geht es darum, unter den Alltagsbedingungen unvollständiger Information und endlicher Zeit kontroverse Positionen einer Entscheidung zuzuführen (vgl. Herrmann/Hoppmann/Mattes/Nesyba 2011).

Beteiligte Personen

Pro Debatte treten zwei Dreierteams gegeneinander an, deren Ziel es ist die fraktionsfreien Redner auf ihre Seite zu ziehen (siehe Grafik). Alle Redner müssen an vorher gebrachte Argumente anknüpfen und dürfen der eigenen Seite nicht widersprechen. Die Positionen der Teams werden ausgelost (vgl. ebd.).

  1. Der Eröffnungsredner der Regierung: Er konkretisiert den Wortlaut der vorliegenden Frage   durch einen genau bestimmten Antrag. (Redezeit: 7 Minuten)
  2. Der Eröffnungsredner der Opposition: Er erwidert dem Eröffnungsredner der Regierung. Er nennt die Gegenargumente der Opposition und versucht hier und durch Zwischenreden (siehe Zwischenrede), die Fraktionsfreien Redner für eine Ablehnung des Antrags der Regierung einzunehmen. (Redezeit: 7 Minuten)
  3. Die Ergänzungsredner von Regierung und Opposition: Sie fügen den Argumenten ihrer Eröffnungsredner weitere hinzu oder vertiefen die bereits vorgetragenen Gesichtspunkte. Sie richten Zwischenfragen an die Gegenseite, halten gegebenenfalls Zwischenreden und widerlegen deren Argumente (vgl. ebd.). (Redezeit: 7 Minuten)
  4. Die drei Fraktionsfreien Redner: Sie prüfen die Argumente und Widerlegungen der Fraktionsredner und können Zwischenfragen stellen. Im Anschluss an die Eröffnungsplädoyers äußern sie sich in vorherbestimmter Reihenfolge zum Antrag der Regierung. Dabei geben sie innerhalb der ersten Minute klar zu erkennen, ob sie die Regierung oder die Opposition unterstützen und widersprechen der jeweiligen Gegenseite. Sie sollen neue Argumente bringen, dürfen dadurch aber nicht in direkten Widerspruch zu bereits genannten Argumenten der von ihnen unterstützten Seite geraten. (Redezeit: 3,5 Minuten)
  5. Der Schlussredner der Opposition prüft die argumentative Konsistenz der Regierung einschließlich ihrer Freien Redner durch Zwischenfragen. Er fasst die Argumente der Opposition einschließlich ihrer Freien Redner zusammen und plädiert abschließend gegen die Zustimmung zur Frage. Er darf keine neuen Argumente einführen (vgl. ebd.).
  6. Die Aufgaben des Schlussredners der Regierung bestimmen sich analog zu denen des Schlussredners der Opposition. Er hat das letzte Wort zum Thema.
  7. Präsident: Dem Präsidenten obliegt die Leitung der Debatte: Er überwacht während der Debatte die Einhaltung der Regeln und ruft die Redner entsprechend ihrer Reihenfolge zu ihren Beiträgen auf.
  8. Publikum: Zwischenreden, Zwischenfragen und Zwischenrufe (vgl. ebd.).

Ablauf der Debatte

Der Präsident eröffnet die Aussprache und erteilt jedem Redner das Wort. Die Redezeit beginnt mit dem ersten Wort des Redners. Während der Rede markiert er Anfang und Ende der Zeit für Zwischenfragen mit einfachem Hammerschlag. Das Ende der Redezeit wird mit doppeltem Hammerschlag angezeigt. Überschreitet ein Redner die ihm zustehende Redezeit um mehr als fünfzehn Sekunden, unterbindet der Präsident die Überschreitung durch Glockenschläge. Bei Überschreitung der Zeitgrenzen für Zwischenfragen läutet der Präsident sofort (vgl. Streitkultur 2015a).

Die Fraktionsredner erhalten jeweils sieben Minuten Redezeit. Die erste und letzte Minute dieser Zeit ist gegen Zwischen-fragen geschützt. Die Fraktionsfreien Redner erhalten jeweils dreieinhalb Minuten Redezeit. Die erste Minute und die letzten dreißig Sekunden ihrer Redezeit sind gegen Zwischenfragen geschützt. Während der übrigen Redezeit haben alle gegnerischen Fraktionsredner das Recht zu Zwischenfragen (vgl. ebd.).

Auf die Rede jedes Fraktionsfreien Redners folgt eine Zwischenrede des gegnerischen Eröffnungs- oder Ergänzungsredners von maximal einer Minute durchweg geschützter Redezeit. Darauf folgt die Rede des nächsten Fraktionsfreien Redners. Auf die Zwischenrede zur Stellungnahme des letzten Fraktionsfreien Redners folgen die Plädoyers der Schlussredner von Regierung und Opposition. Zu den Schlussplädoyers sind Zwischenfragen der gegnerischen Fraktionsredner und aller Fraktionsfreien Redner zugelassen (vgl. ebd.).

Nach der Debatte folgt eine offene Abstimmung, ob das Publikum die Streitfrage nun mit Ja oder Nein beantworten würde. Die Rednerseite mit dem größten Zuwachs an Stimmen gewinnt (vgl. ebd.).

Interaktion

Das ist ein Mittel aller Debattanten und des Publikums, um den Redner auf Inkonsistenzen, argumentative Lücken, Abwegigkeiten und dergleichen hinzuweisen und zur Klarstellung anzuhalten (vgl. Herrmann/Hoppmann/Mattes/Nesyba 2011).

  1. Zwischenreden sind das Mittel der Fraktionen zur Stellungnahme zu den Reden der gegnerischen Fraktionsfreien Redner. Zwischenreden sind auf eine Minute begrenzt und werden vom Platz aus gehalten.
  2. Zwischenfragen sind das Mittel der Gegenseite, um einen Redner zur genaueren Bestimmung seiner Position und seiner Argumente zu bewegen (vgl. ebd.). (Redezeit: max. 15 Sekunden)
  3. Zwischenrufe sind ein Mittel aller Debattanten und des Publikums um den Redner auf Inkonsistenzen, argumentative Lücken, Abwegigkeiten und dergleichen hinzuweisen und zur Klarstellung anzuhalten. Zwischenrufe dürfen in der Länge sieben Wörter nicht überschreiten. Dialoge sind unzulässig (vgl. ebd.).

Literatur

Herrmann, Markus; Hoppmann Michael; Leopold, Pauline; Nesyba, Thea; Mattes, Anna (2011): Kurzregeln für die Offene Parlamentarische Debatte. Tübingen. In: http://www.streitkultur.net/wp-content/uploads/2015/01/OPD-Kurzregeln-V09.pdf [Zugriff 09.10.2015].

Streitkultur a (2015): Die Tübinger Debatte. In: http://www.streitkultur.net/wp-content/uploads/2011/03/Tübinger-Debatte-Regelflyer-2009.pdf [Zugriff 09.10.2015].